Bernhard Schwaiger
Ist die Psychoanalyse eine Sekte? Text
Stephanie von Hayek
Huis clos im Sommerhaus
Claudia Lemke
Bindungs (Ab)Gründe – Psychoanalyse und Apokalypse Text
Thomas Vogt
Beziehungs-Nichtung Text
Iracema Dulley
Die Stimme in der Vergewaltigung Text
Claus-Dieter Rath
Zur Fragilität der Bindungen. Zweifel an der Haltbarkeit des Worts Text
À propos de la fragilité des relations. Doute sur la consistance du mot Text
Miroslaw Stasinski
Freud auf Wittgensteins Couch Text
Ein Kongress der Freud-Lacan-Gesellschaft. Psychoanalytische Assoziation Berlin
Gefühlsbindungen können aus genusssüchtigen, tendenziell kulturfeindlichen Einzelmenschen soziale Subjekte machen. Haben die Einzelnen eine Gemeinsamkeit ihrer Interessen (an)erkannt, wird eine belastungsfähige Gemeinschaft möglich. Die Kehrseiten der Gemeinschaftsbildung sind Nichtanerkennung, Ausgrenzung, Bekämpfung des Andersartigen und als feindlich Erlebten.
Dies hebt Sigmund Freud 1932 in seinem Briefwechsel mit Albert Einstein zur Frage „Warum Krieg?“ hervor.
Aus welchen Komponenten, Bindemitteln und Bedingungen bestehen die familiären und die sozialen Bindungen heute? Wie verknüpfen sich dabei Liebesbindungen, Identifizierungen mit ökonomischen und politischen Zwängen? Was lässt derzeit die Menschen glauben, zusammenzugehören, und was erwarten sie voneinander? Auf welche Weise(n) möchten sie zusammen sein und was empfinden sie als „gute Gesellschaft“, als Gesellschaft, der sie angehören möchten?
Die Bindungsscheu, von der wir in der psychoanalytischen Praxis hören, resultiert aus Ideal- oder Schreckensbildern von Abhängigkeit und Unabhängigkeit. Gemeinschaft und Familie erscheinen darin teils als diktatorialer Zwangsverbund, teils als etwas Naturhaftes oder auch als bloße Summe von Einzelmenschen. Und wir hören von der Sehnsucht nach dem Aufgenommensein in etwas unverbrüchliches Ganzes.
Die stille Frage „Was werden die anderen jetzt von mir denken?“ belastet das Spiel des sozialen Austauschs. So fürchten Gesprächsteilnehmer weniger, politisch angefeindet und in Kontroversen verwickelt, als überhaupt ausgegrenzt und verstoßen oder einfach ›weggeklickt‹ zu werden.
Das Ein- und Ausgeschlossenwerden wird als Akt der Willkür empfunden. Gleichzeitig gibt es keine Berufung auf einen schützenden Kodex von Rechten und Pflichten, der immer ausgelegt werden kann. Eine Art Zwei-Personen-Psychologie, die sich auf Sympathiestreben, Liebeswerben und Rivalität fixiert, empfindet die symbolische Ordnung nicht als ein hilfreiches, regulierendes Drittes, sondern als Störfaktor.
Es scheint nichts artikulierbar, alles ist wie ungelenk und verknöchert. Vorherrschend ist das Gefühl, nicht ins geforderte „Format“ zu passen. Elemente der Vereinnahmung, freundlicher oder feindlicher Übernahme bis hin zur Kolonisierung. Es ist eher ein gespanntes Erdulden wie beim Schlangestehen vor dem Türhüter mancher Berliner Clubs.
Wir erfahren, dass die psychoanalytische talking cure in unserer heutigen Kultur einen der wenigen Orte darstellt, an denen im Sprechen und Hören etwas vom Subjekt auftauchen kann. Sie löst das Ringen um Anerkennung vom Akzeptiertwerden der eigenen Person und lässt es als Begehren der Anerkennung des eigenen Begehrens durch das Begehren des Anderen entdecken.
Die Frage »Gehöre ich dazu?« lässt sich also differenzieren:
– »Werde ich nicht aufgenommen?« – als Neuankömmling in der Familie durch die Eltern und die Geschwisterkohorte [vgl. Lacan 1938: Die Familienkomplexe]; bei jedem der Übergangsriten im Lauf des Lebens,
– »Werde ich ausgestoßen?«
– »Muss ich die Schuld anderer übernehmen?« (als Angehöriger einer Familie, Berufsgruppe, Nation)
– »Bin ich verdammt, etwas zu sein, das ich gar nicht sein will?« »Kann ich nicht so sein, wie ich wirklich bin?«
– »Wie komme ich hier raus? Ich will frei und unabhängig werden …« – doch was hieße das?
In der Zeit der Isolierung während der Covid-Pandemie haben sich diese Problematiken für viele verschärft.