Lippenbekenntnis
Einige Gedanken zur deutschen Synchronisation der ARTE Serie „In Therapie“
Die Architekturstudentin Lydia und Philippe Dayan:
Ein Beispiel aus der zweiten Staffel, Folge 3:
Im Französischen Original wird Dr. Philippe Dayan von seinen Klienten/Patienten in der Regel „Psy“ genannt, was in der französischen Umgangssprache den semantischen Bereich der Berufe: Psychologe, Psychotherapeut, Psychiater und eben auch Psychoanalytiker umfasst. Hier soll nur beispielhaft die oben genannte Folge aufgeführt werden: Dayan wird in der deutschen Version von der Architekturstudentin Lydia ausschließlich als „Psychiater“ angesprochen. Selbst als Lydia über andere „Psy“ spricht, wird dies mit „Psychiater“ übersetzt, obwohl deren akademische Herkunft im Original nicht präzisiert wird (als weiteres Beispiel: Folge 25). In diesem Synchronisationsverfahren wird Dayans Position, die er im subjektiven Empfinden seiner Klienten/Patienten einnimmt, völlig eskamotiert (hier im deutschen Sinne von „weginterpretiert“). Das heißt seine Funktion als Psychotherapeut oder gar seine mögliche Position als Psychoanalytiker verschwindet im Diskurs der deutschen Synchronisation: Sie bemeistert sich der Vieldeutigkeit des „Psy“, um eine Eindeutigkeit widerzugeben, die m.E. der Intention dieser Serie zuwiderläuft, denn manchmal ist Dayan Arzt und schreibt Gutachten, einmal Paartherapeut (vor allem in der ersten Staffel) und eben auch Psychoanalytiker. Dieses weite Feld wird im französischen Original mit „Psy“ gut umrissen: Dieses Kürzel wäre dem deutschsprachigen Publikum durchaus zuzumuten gewesen, um ein dem französischen Kontext angemessenes sprachliches Flair auch in der Synchronisation beizubehalten.
Interessant wäre zu erfahren, was diese Umdeutung in der deutschen Synchronisation bezweckt, bzw. was sie motivierte: eine bessere Verständlichkeit oder eine intendierte Vermeidung aller Assoziationen, die an Psychoanalyse denken lassen könnten. Sicherlich ersteres: So wird in weiteren Folgen auch vom „Psychologe“, „Psychotante“ und „Psychoanalytiker“ gesprochen; auch im französischen Original sind die Berufsbezeichnungen wechselnd, wenn auch das „Psy“ vorherrschend ist. Es schwingt immer eine gewisse, spielerische Leichtigkeit mit, wenn dieses Wort fällt, während im deutschen die ganze Schwere des Brotberufs auf pathetische Weise betont wird – der Beruf als eine Art Bekenntnis, Lippenbekenntnis, das dem Original nicht entspricht.
Natürlich gibt es in dieser Serie auch Wortspiele, die nicht unmittelbar übersetzbar sind: Manchmal wird dies explizit übertragen, wie z.B in der Folge 23 der zweiten Staffel (6:30): Der Text des französischen Chansons wird im Original gesprochen und in der deutschen Übersetzung wiedergegeben; das von Dayan aufgegriffene Wortspiel „armure“ („Rüstung“) wird in den Assoziationen zweisprachig verdeutlicht („art/Kunst“, „mur/Mauer“). Dies ist kongenial gelöst und auch notwendig. Ein anderes Beispiel zeigt das Gegenteil, nämlich was passiert, wenn Wortspiele unterschlagen werden: In der Folge 20 (6:35) greift die Supervisorin das Wort „paniquer“ auf, um dessen Zweideutigkeit erscheinen zu lassen („pas niquer“ – „nicht vögeln“); dies wird wörtlich mit „Panik kriegen“ übersetzt, worauf Dayan applaudiert und ironisch von einer Meisterdeutung spricht, was völlig plump und absurd wirkt.
Diese Serie zeigt viele französische (von Lacan geprägte) Eigenheiten der Psychoanalyse: Die Bezahlung am Ende der Sitzungen, wobei die Höhe des Betrags von Analysant/in,Patient/in variieren kann; der freie Umgang mit der Zeit usw. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Serie Zuschauer dazu bewegt, auch „solch eine Therapie machen zu wollen“ und da dient die Figur des Dr. Dayan sicherlich als Projektionsfläche. Ihn fast ausschließlich als Psychiater zu benennen, um ihn dadurch mit einer genau definierten Position zu identifizieren, leitet Interessenten in diese Richtung; der psychoanalytische Hintergrund droht dadurch zu verschwinden, während das Original auf ein „Feld der Psy“ in seiner ganzen Vielfalt verweist.
Als Anekdote über den Einfluss von Synchronisationen sei noch an die im wörtlichen Sinne berüchtigte deutsche Synchronfassung von Alfred Hitchcocks „Notorious“ (1946) erinnert. Ein Film, der 1951 in der deutschen Version „Weißes Gift“ hieß, wobei die Story dahingehend abgeändert, d.h. mittels Synchronisation umgedeutet wurde, dass aus nationalsozialistischen Verschwörern in Rio de Janeiro Drogenhändler wurden. Ob den Verleihern bewusst war, dass der Titel „Weißes Gift“ durchaus als Metapher für beide Versionen stehen kann, sozusagen als Wiederkehr des Verdrängten“? Dieser Milieuwechsel durch Synchronisation hat nichts mit dem oben dargestellten Therapiemilieu gemein, erinnert aber an eine Vertreibung und Verdrängung der Psychoanalyse in bzw. aus Deutschland während der Herrschaft des Nationalsozialismus und vielleicht, nach der Synchronisation, an die zunehmende Medikalisierung der „Psy“(ch…).
Bernhard Schwaiger